Dr. Norbert Klingel Rechtsanwalt und Mediator
Ist nur der Rotlichtverstoß des Geradeausfahrers bewiesen, während nicht festgestellt werden kann, dass der Linksabbieger im Gegenverkehr vor Aufleuchten des grünen Räumpfeils unter Verstoß gegen § 9 Abs. 3 StVO angefahren ist, haftet der Geradeausfahrer allein. Kammergericht vom 12.07.2012 AZ: 22 U 322/11
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers das am 9. November 2011 verkündete Urteil der Zivilkammer 43 des Landgerichts Berlin - 43 O 100/11 – teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

I.

Von der Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
 Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten (Fahrzeugführer und Haftpflichtversicherer), mit der sie die Klageabweisung in vollem Umfang verfolgen, ist begründet. Die zulässige Anschlussberufung des Klägers, mit der er (nur noch) die Differenz von 1/2 zu 2/3 weiterverfolgt, ist dementsprechend unbegründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagten der von dem Landgericht in Höhe von 4.879,57 € zugesprochene Schadenersatzanspruch gemäß §§ 831, 823 Abs. 1, 249 BGB; §§ 7, 17, 18 StVG; § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG; § 421 BGB; § 398 BGB wegen des Verkehrsunfalls vom 10. Dezember 2010 an der Einmündung der Olbersstraße in den Tegeler Weg nicht zu, weil der bei dem Kläger angestellte Fahrer, der Zeuge M…, den Unfall allein verschuldete und deshalb im Ergebnis der Abwägung der Mitverursachungs- und Mitverschuldensanteile nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG; §§ 254 BGB, 9 StVG der Kläger den Schaden allein zu tragen hat.
Der Ansatz einer hälftigen Teilung vermag bereits nicht zu überzeugen. Das Landgericht stellt einerseits den Rotlichtverstoß des Taxifahrers des Klägers, der hier geradeaus fuhr, fest, erachtet andererseits das Aufleuchten des grünen Räumpfeils für den im Gegenverkehr mit dem LKW linksabbiegenden Beklagten zu 1. für nicht bewiesen. Dennoch gelangt es im Ergebnis zu einer hälftigen Mithaftung, die nur bei beiderseits offener Sachlage in Betracht kommen kann, negiert also den festgestellten Rotlichtverstoß. Vorliegend hat es jedoch eine Verletzung des § 9 Abs. 3 StVO auf Beklagtenseite nicht zu Grunde gelegt, so dass – wie die Beklagten zu Recht geltend machen - allenfalls die Betriebsgefahr des vom Beklagten zu 1. geführten Fahrzeuges gegen das Verschulden des Fahrers des Klägers sowie die Betriebsgefahr des Taxis abzuwägen gewesen wäre. Die grundsätzlich vom Landgericht zutreffend erörterte Verteilung der Haftungsanteile (Urteilsabschrift S. 4 f.), wird ungenau aufgeführt, wenn dort eine hälftige Verteilung lediglich auf die ungeklärte Schaltung des grünen Räumpfeils beschränkt wird, was möglicherweise den gelegentlich verkürzten Leitsätzen der veröffentlichten Entscheidungen geschuldet ist.

Auch im vorliegenden Fall des Unfalls zwischen einem Geradeausfahrer (Fahrer des Klägers) und linksabbiegendem Gegenverkehr (Beklagtem zu 1.) gilt, dass bei der Abwägung der Mitverursachungs- bzw. Mitverschuldensanteile nach §§ 17, 9 StVG, 254 BGB nur unstreitige, zugestandene oder bewiesene Tatsachen zu Grunde zu legen sind (vgl. BGH mit Urteil vom 13. Februar 1996 – VI ZR 126/95 – NJW 1996, 1405, 1406 [II.1.a)] = NZV 1996, 231; BGH mit Urteil vom 27. Juni 2000 – VI ZR 126/99 – NJW 2000, 3069 [3071; II.2.b)]; BGH mit Urteil vom 1. Dezember 2009 – VI ZR 221/08 – NJW-RR 2010, 839 [Rn. 13]; KG mit Urteil vom 7. Februar 1991 – 12 U 7341/89 - NZV 1991, 271 [271 f.]; KG mit Beschluss vom 15. Januar 2007 – 12 U 205/06 – NZV 2007, 524 [525; 1.b)]; OLG Köln mit Urteil vom 16. März 1995 – 1 U 89/94 - NZV 1995, 400; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 9 StVG Rn. 25 und § 17 StVG Rn. 5 und Rn. 31) und die Parteien im Bestreitensfall jeweils die Mitverursachung sowie das Verschulden der Gegenseite zu beweisen haben. So hat der Geradeausfahrer zu beweisen, dass der grüne Räumpfeil (§ 37 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 S. 12 StVO) nicht aufleuchtete und daher ein Verstoß gegen § 9 Abs. 3 StVO vorliegt (vgl. BGH mit Urteil vom 13. Februar 1995 – VI ZR 126/95 – NJW 1996, 1405, 1406 f. [II.1.d)] = NZV 1996, 231), während der Linksabbieger den Rotlichtverstoß des Geradeausfahrers (§ 37 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO) zu beweisen hat. Deswegen kommt eine hälftige Schadensteilung nur dann in Betracht, wenn sowohl ein Rotlichtverstoß des Geradeausfahrers als auch das Fahren vor Aufleuchten des grünen Räumpfeils für den entgegenkommenden Linksabbieger offenbleiben, also die Ampelschaltung für beide Beteiligte jeweils nicht festzustellen ist (vgl. KG mit Urteil vom 10. Mai 1999 - 12 U 9612/97 - NZV 1999, 512 [dort mit falschem Aktenzeichen: /98]; BGH mit Urteil vom 13. Februar 1996 - VI ZR 126/95 – NJW 1996, 1405, 1406 [II.1.d)bb), ltz. Abs.] = NZV 1996, 231; BGH mit Urteil vom 06. Mai 1997 - VI ZR 150/96 - NJW-RR 1997, 1111; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 9 StVO Rn. 55, S. 557). Im Übrigen muss beachtet werden, dass entsprechend der Differenzierung der Darlegungs- und Beweislast bei der Betrachtung im Rahmen der Abwägung verfahrensrechtlich unterschiedliche Sachverhalte zu Grunde zu legen sein können. Steht danach fest, dass der grüne Räumpfeil noch nicht geschaltet war und der Linksabbieger gegen § 9 Abs. 3 StVO verstieß, während ein Rotlichtverstoß des Geradeausfahrers nicht bewiesen ist, haftet der Abbieger allein, weil ein Verschulden des Geradeausfahrers nicht in die Abwägung einzubeziehen ist (Senat mit Urteil vom 22. März 2012 – 22 U 224/11 – unveröffentlicht). Ist dagegen – wie im vorliegenden Fall – ein Rotlichtverstoß bewiesen, während nicht feststeht, ob der grüne Räumpfeil bereits leuchtete, haftet der Geradeausfahrer allein, weil ein Verschulden des Linksabbiegers, das in die Abwägung einbezogen werden könnte, fehlt, weshalb auch irrelevant bleibt, in welcher Sekunde der Rotlichtverstoß erfolgte.Das Landgericht hat zu Recht ausgeführt, es stehe entgegen der Bekundungen des Taxifahrers, des Zeugen M…, aufgrund der Aussagen der (unbeteiligten) Zeugen H… und H… ein Rotlichtverstoß des Fahrers des Klägers in der ersten Sekunde fest, während ein späteres Einfahren in die Einmündung nicht bewiesen sei. Der Senat verweist hierzu auf die überzeugende Beweiswürdigung des Landgerichts, die die Parteien nicht angegriffen haben. Maßgeblich ist nun, ob nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aus den Feststellungen zum Rotlichtverstoß mittelbar die Schaltung des grünen Räumpfeils sicher ableitbar ist, wobei der Kläger darzulegen und zu beweisen hat, dass das Überfahren der Haltelinie seines Fahrers jedenfalls nicht nach der zweiten Rotlichtsekunde stattfand. Dies lässt sich, wovon auch das Landgericht ohne nähere Begründung ausgegangen ist, nach den Aussagen der Zeugen jedoch nicht feststellen. Insoweit müssen die dem Kläger ungünstigsten nicht sicher ausschließbaren Tatsachen zu Grunde gelegt werden. So ist zu berücksichtigen, dass der Taxifahrer nach seinen Angaben anlässlich der Zeugenaussage noch vor dem Landgerichtsgebäude auf die Busspur gewechselt sein will. Zwischen der folgenden Seitenstraße, der Brahestraße, sowie der Olbersstraße liegen aber bereits rund 90 m. Der Zeuge H… hat bekundet, im Zeitpunkt des Wechsels des Taxis vor ihrem Lkw hätten etwa 8 Fahrzeuge vor ihnen gestanden. Der Zeuge H… hat sogar 10 bis 15 Fahrzeuge angegeben und die Entfernung zur Ampel auf 50 m geschätzt. Unter Berücksichtigung der erforderlichen Abstände zwischen den Fahrzeugen wird man aber davon ausgehen müssen, dass mit der von dem Zeugen H… angegebenen Anzahl die Entfernung nicht unter 40 m betragen haben wird, während nach der Aussage des Zeugen H… von einer noch anzunehmenden Entfernung von rund 75 m auszugehen wäre. Unter Berücksichtigung aller Zeugenaussagen lässt sich jedenfalls eine deutlich über 50 m liegende Entfernung nicht ausschließen. Wird nun berücksichtigt, dass – was sich durch die nur subjektiven Schätzungen der Zeugen H… und H… nicht ausschließen lässt und vom Kläger im Übrigen so vortragen ist - der Fahrer des Klägers angegeben hat, lediglich mit einer Geschwindigkeit von ca. 30 km/h gefahren zu sein, so legte das Taxi 8,33 m/s zurück und konnte daher schon bei einer Strecke von 50 m einen Zeitraum von 6 s benötigt haben. Bei einer ebenso wenig ausschließbaren Strecke von 60 m wären mehr als 7 s verstrichen gewesen. Nun dauerte für den Taxifahrer ausweislich des Signalzeitenplans Gelb 3 s und Rot 2 s, bevor der grüne Räumpfeil für den Kläger geschaltet wurde. Da der Zeuge H… bekundet hat, die Ampel sei bereits auf Gelb geschaltet gewesen, als das Taxi auf die Busspur wechselte, das Taxi bis zur Haltelinie aber eine Zeitraum von deutlich über 5 s gefahren sein kann, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der grüne Räumpfeil bereits das Abbiegen freigab. Der Zeuge H… hat ferner bekundet, bei dem Wechsel auf Rot sei das Taxi zwei bis drei Fahrzeuglängen bzw. 10 bis 15 m von der Ampel entfernt gewesen. Unter Berücksichtigung von Unsicherheiten - der Zeuge H… hat die Entfernung im Moment des Wechsels auf die Busspur größer eingeschätzt – schließt auch dies eine größere Entfernung und dementsprechend bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h ein Überfahren der Haltelinie deutlich nach der zweiten Rotlichtsekunde nicht aus. Insoweit ist maßgeblich, dass für den Beklagten zu 1. jedenfalls vor dem Überqueren der Busspur der grüne Räumpfeil geleuchtet haben kann und er sich hierauf verlassen durfte, zumal in den anderen beiden Fahrspuren die Fahrzeuge hielten. Im Ergebnis der Abwägung auf der Grundlage des allein festgestellten Rotlichtverstoßes hat der Kläger daher seinen Schaden allein zu tragen. Im Übrigen könnte nicht unberücksichtigt bleiben, dass auf der Busspur nach den überzeugenden Bekundungen der Zeugen H… und H… leichter Schneematsch lag und davon auszugehen ist, dass der Taxifahrer versuchte, bei Rot zu bremsen, aber das Taxi durch den Schneematsch auf die Kreuzung rutschte, so dass ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 StVO zusätzlich zu berücksichtigen gewesen wäre. Ferner wäre bei der Abwägung zu beachten, dass der LKW schon wegen seiner Größe nur schwer zu übersehen gewesen sein dürfte und der Anstoß im seitlichen Heckbereich auf der rechten Fahrspur erfolgte, als der LKW nach Querung der drei Fahrspuren des Tegeler Weges bereits im Wesentlichen in die Olbersstraße eingefahren war. Dementsprechend ist auch der Zinsanspruch unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO.

Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO; § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO.