Dr. Norbert U. Klingel

Rechtsanwalt und Mediator Kleinmachnow

Dr. Norbert Klingel

Rechtsanwalt    u.    Mediator

 

 

KG Berlin, Beschluss v. 06.02.2012, AZ.: 22 U 283/11, Vorfahrt bei zwei nebeneinander in eine Vorfahrtstraße mündenden Nebenstraßen

Münden zwei Straßen, deren Verhältnis zueinander nicht durch den Vorrang regelnde Zeichen bestimmt wird, von derselben Seite und in einem gemeinsamen Kreuzungsbereich in eine Straße, die beiden gegenüber durch entsprechende Zeichen bevorrechtigt ist, so gilt im Verhältnis dieser beiden Straßen § 8 Abs. 1 StVO.

Hier wurde die Berufung zurückgenommen.

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 15. September 2011 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 44 O 125/11 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.

2. Die Beklagten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von einem Monat.

Gründe

Der Senat hat die Erfolgsaussicht der Berufung der Beklagten gegen das am 15. September 2011 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 44 O 125/11 - eingehend beraten und aus den nachstehenden Gründen einstimmig verneint:

Gemäß § 513 ZPO ist das angefochtene Urteil durch das Berufungsgericht nur darauf zu überprüfen, ob dem Erstgericht ein Rechtsfehler unterlaufen ist, oder ob auf Rechtsfehler beruhende Irrtümer in der Tatsachenfeststellung die Entscheidungsfindung beeinflusst haben.

Beides vermag der Senat nach umfassender Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht festzustellen. Der Senat teilt vielmehr das Ergebnis der landgerichtlichen Wertungen, die jedenfalls von der Hilfsbegründung des angefochtenen Urteils zuverlässig getragen werden.

Auf der Grundlage des zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigenden Sach- und Streitstandes hat das Landgericht zutreffend erkannt, dass dem Kläger die mit der Klage erhobenen Ansprüche zur Hälfte zustehen.

Die Berufung zeigt keine Umstände auf, die Anlass zu einer abweichenden Bewertung geben könnten.

Der Senat teilt nicht die in der angefochtenen Entscheidung erörterten Bedenken gegen die in der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die rechtliche Bewertung der hier zu beurteilenden tatsächlichen Umstände. Münden zwei Straßen, deren Verhältnis zueinander nicht durch ausdrückliche, den Vorrang regelnde Zeichen bestimmt wird, von derselben Seite und in einem gemeinsamen Kreuzungsbereich in eine Straße, die beiden gegenüber durch entsprechende Zeichen bevorrechtigt ist, so gilt im Verhältnis dieser beiden Straßen § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO mit der Folge, dass der Fahrer des Fahrzeugs Vorfahrt hat, das von rechts kommt (OLG Bremen, Urteil vom 30. März 1965 3 U 14/65 - DAR 1965, 179; OLG Köln, Urteil vom 7. Februar 1990 - 13 U 227/89 - VersR 1992, 249; OLG Stuttgart, Urteil vom 17. Dezember 1993 - 2 U 89/93 - NZV 1994, 440).

Diese tatsächliche Situation liegt dem hier im Streit befindlichen Unfall zu Grunde. Die von dem Kläger befahrene Schwanebecker Chaussee und die von dem Beklagten zu 1) befahrene Straße Am Stener Berg münden in einem gemeinsamen Kreuzungsbereich in die Straße Alt Buch/Zepernicker Straße, die beiden gegenüber durch das Zeichen 306 der Anlage zu § 42 Abs. 2 StVO, ergänzt durch das den Verlauf der Vorfahrtstraße anzeigende Zusatzzeichen, als bevorrechtigt ausgewiesen ist. Die Straßen Schwanebecker Chaussee und Am Stener Berg sind dementsprechend jeweils mit dem Zeichen 205 der Anlage zu § 41 Abs. 1 StVO, ergänzt durch das den Verlauf der Vorfahrtstraße anzeigende Zusatzzeichen, gegenüber der Straße Alt Buch/Zepernicker Straße als wartepflichtig ausgewiesen (so, von dem Kläger unwidersprochen, die Beklagten mit Schriftsatz vom 26. Juli 2011, Blatt 28 der Akten, optisch unterstützt durch die Bilder Blatt 31 und 32 der Akten). Bereits an dieser Stelle ist allerdings anzumerken, dass nicht schon das Zeichen 205 Anlass für den Kläger hätte sein müssen, dem Beklagten zu 1) Vorrang einzuräumen, wie die Berufungsbegründung meint (Seite 3, Blatt 73 der Akten). Vielmehr bedeutete dieses Zeichen für den Kläger dasselbe wie für den Beklagten zu 1, nämlich dass er dem Verkehr auf der Straße Alt Buch/Zepernicker Straße gegenüber wartepflichtig war.

Für den Kläger und den Beklagten zu 1) untereinander galt: Vorfahrt hat, wer von rechts kommt (§ 8 Abs. 1 StVO), hier also der Beklagte zu 1).

Diese Vorfahrtsregelung war - worauf das Landgericht zutreffend hinweist - auch nicht dadurch abgelöst worden, dass der Kläger bereits so weit in die bevorrechtigte Straße Alt Buch/Zepernicker Straße eingefahren gewesen wäre, dass er das auf dieser Straße geltende Vorfahrtsrecht auch für sich hätte beanspruchen können (vgl. die der Entscheidung des OLG Bremen, a.a.O., zu Grunde liegende Konstellation). Wie den mit der Klageschrift eingereichten Bildern (Blatt 5 und 6 der Akten) unzweifelhaft zu entnehmen ist, war das Fahrzeug des Klägers im Zeitpunkt der Kollision nicht in den Verkehrsfluss auf der bevorrechtigten Straße integriert, sondern befand sich noch quer dazu und erst im Begriff, sich dort einzuordnen.

Wenn gleichwohl eine anteilige (hälftige) Mithaftung der Beklagten hier das angemessene Ergebnis der gemäß §§ 17 StVG, 254 BGB vorzunehmenden Abwägung ist, beruht dies - wie das Landgericht ebenfalls zutreffend festgestellt hat - darauf, dass der Kläger ausweislich der fotografisch dokumentierten Endstellung der in den Unfall verwickelten Fahrzeuge (Blatt 5 und 6 der Akten) den Einmündungsbereich erkennbar vor dem Beklagten zu 1) erreicht hatte. Der Beklagte zu 1) hat klar erkennen können, dass der Kläger ohne Rücksicht auf die bestehende Rechtslage in Bezug auf die Vorfahrt seine Fahrt fortsetzte und hätte sein Vorfahrtsrecht nicht zu erzwingen versuchen dürfen.Da eine mündliche Erörterung und Verhandlung nicht angezeigt ist, beabsichtigt der Senat deshalb, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss als offensichtlich aussichtslos zurückzuweisen, sofern sie nicht im Kosteninteresse zurückgenommen wird (insoweit wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass im Falle der Rücknahme des Rechtsmittels sich die in vierfacher Höhe bereits angefallene gerichtliche Verfahrensgebühr um die Hälfte verringert - Kostenverzeichnis Nummer 1222).Die Beklagten erhalten Gelegenheit, zu der beabsichtigten Vorgehensweise innerhalb eines Monats Stellung zunehmen.